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Zu wenig Zukunft im Zukunftsgesetz

15. Dezember 2025

Im sogenannten Infrastruktur-Zukunftsgesetz denkt die Bundesregierung Infrastruktur zu eng: Grüne und blaue Infrastruktur sind essenziell für Deutschlands Zukunftsfähigkeit.

Im Koalitionsausschuss am 10. Dezember 2025 hat die Bundesregierung beschlossen, dass die Infrastruktur in Deutschland schnell ertüchtigt und ausgebaut werden soll. Dabei denkt sie offenbar vor allem an Straßen, Schienen, Brücken und Energieinfrastruktur. Planungs- und Genehmigungsverfahren für solche Bauprojekte sollen vereinfacht und beschleunigt werden – unter anderem durch den Abbau von Umwelt- und Naturschutzprüfungen. Auch die Möglichkeiten von Bürger*innen und Umweltverbänden, sich an Genehmigungsverfahren zu beteiligen, sollen teilweise eingeschränkt werden. Dafür will die Regierung ein „Infrastruktur-Zukunftsgesetz“ verabschieden. Außerdem hat sie vor, bis spätestens 28. Februar 2026 einen Entwurf für ein „Naturflächenbedarfsgesetz“ vorzulegen.

Wir ordnen ein, worum es geht und erklären, warum es wichtig ist, dass nicht nur schneller gebaut wird.

Grüne und blaue Infrastruktur ist essenziell

Mit den geplanten neuen Gesetzen soll vor allem der Bau der grauen Infrastruktur, also Straßen, Schienen und Energienetze, beschleunigt werden: Teilweise auf Kosten der Natur. Aber Wälder, Wiesen, Flüsse und Meere sind nicht nur schöne Landschaft. Sie sind die essenzielle grüne und blaue Infrastruktur, die wir brauchen, um gesund zu leben und zu wirtschaften. Ohne sauberes Wasser, ertragreiche Böden und Erholungsräume für Menschen und Tiere ist Deutschland weder lebenswert noch wettbewerbsfähig.

In der Natur ist fast alles miteinander verbunden

Grüne und blaue Infrastruktur ist die Infrastruktur der Natur, die Ökosystemleistungen erbringt und natürliche Stoff- und Energiekreisläufe unterhält. Kling kompliziert, ist aber eigentlich ganz einfach: Ökosystemleistungen sind zum Beispiel die Bereitstellung von sauberem Wasser und frischer Luft oder die Bestäubung von Pflanzen, auf die die Landwirtschaft angewiesen ist. Stoff- und Energiekreisläufe wiederum halten ein Ökosystem am Laufen: Es zirkulieren zum Beispiel Nährstoffe, Kohlenstoff und Wasser. Die grüne und blaue Infrastruktur umfasst Landökosysteme (Wälder, Wiesen, Moore) und aquatische Ökosysteme (Flüsse, Seen, Meer), die Arten, die dort leben (Tiere, Pflanzen, Pilze, Mikroorganismen) Umweltmedien (Wasser, Boden, Luft) und Ökosystemfunktionen.

In der Natur ist fast alles miteinander verbunden und alle Ökosysteme und ihre Funktionen sind in größere Kreisläufe eingebunden. Deswegen gehört zur grünen und blauen Infrastruktur auch der Netzwerkgedanke: Ihre einzelnen Bestandteile – zum Beispiel ein Wald oder ein Gewässer – müssen miteinander verbunden sein, damit Stoffe ausgetauscht werden und Tiere wandern können. Grüne und blaue Infrastruktur gibt es übrigens nicht nur in der freien Landschaft. Auch in Städten erfüllt sie wichtige Funktionen – Parks und städtische Gewässer sorgen für ein angenehmes Lokalklima oder nehmen Regenwasser auf, Stadtbäume filtern Schadstoffe aus der Luft und spenden Schatten.

Das geplante „Infrastruktur-Zukunftsgesetz“

Wenn ein größeres Infrastrukturprojekt, zum Beispiel der Bau einer neuen Bahnstrecke oder der Ausbau einer Autobahn, ansteht, bedarf es dafür eines umfassenden Planungs- und Genehmigungsprozesses. Es muss festgelegt werden, wo, wie und in welchem Zeitraum das Projekt umgesetzt wird. Unterschiedliche Interessen – die des Projektträgers, von Anwohner*innen und Umweltschutzinteressen – müssen abgewogen werden. Meistens sind verschiedene Behörden beteiligt. Diese Verfahren sind formalisiert, das heißt, es ist genau festgelegt, welche Verfahrensschritte in welcher Reihenfolge ablaufen und wer wann und wie zu beteiligen ist. Viele Anforderungen, zum Beispiel im Hinblick auf Umweltverträglichkeitsprüfungen oder Bürger*innenbeteiligung, sind durch Europarecht und Völkerrecht vorgegeben. Es müssen umfangreiche Unterlagen vorgelegt und geprüft werden. Deswegen dauern solche Verfahren oft Jahre.

Darüber, dass es in Deutschland sehr viel marode Infrastruktur gibt, herrscht weitgehende Einigkeit. Brücken müssen ertüchtigt und Bahnstrecken ausgebaut werden. Gleichzeitig stellt die Energiewende neue Anforderungen: Es müssen neue Stromleitungen, Speicher und Energieerzeugungsanlagen wie Windparks oder Solaranlagen gebaut werden. Teilweise muss Infrastruktur auch an die unvermeidbaren Auswirkungen der Klimakrise angepasst werden, zum Beispiel für besseren Hochwasserschutz. Das geplante „Infrastruktur-Zukunftsgesetz“ soll dafür sorgen, dass alle diese Bauprojekte in Zukunft deutlich schneller umgesetzt werden können. Dafür sind Änderungen an vielen verschiedenen Gesetzen vorgesehen, zum Beispiel am Allgemeinen Eisenbahngesetz und am Bundesnaturschutzgesetz.

Graue Infrastruktur wird zu pauschal als überragend wichtig eingestuft

Wie es scheint, möchte die Bundesregierung aber nicht nur Brücken sanieren, das Bahnnetz stärken und erneuerbare Energien fördern, sondern auch in erheblichem Umfang Straßen neu- und ausbauen, obwohl längst klar ist, dass mehr Straßen zu mehr Autoverkehr führen und klimaschädlich sind.

Damit all diese graue Infrastruktur in Zukunft schneller gebaut werden kann, will die Bundesregierung zum einen Verfahren entbürokratisieren und digitalisieren. Zum anderen will sie aber auch die Möglichkeiten der Öffentlichkeit, sich an Verfahren zu beteiligen und gegebenenfalls dagegen zu klagen, einschränken. Und sie will Umweltverträglichkeitsprüfungen und naturschutzfachliche Prüfungen einschränken. Außerdem sollen jede Menge Neu- und Ausbauprojekte ins „überragende öffentliche Interesse gestellt werden“. Das Ziel dabei ist, dass dieses Interesse sich in der Abwägung leichter gegen andere Interessen durchsetzen soll – zum Beispiel gegen den Naturschutz oder die Interessen von Anwohner*innen. Man erhofft sich davon, dass Infrastrukturprojekte so schneller umgesetzt werden können, auch wenn es berechtigte Bedenken dagegen gibt. Ein „überragendes öffentliches Interesse“ an einer bestimmten Infrastruktur wurde in den letzten Jahren mehrfach in verschiedenen Gesetzen verankert. Dabei ging es um den Ausbau erneuerbarer Energien und der dafür erforderlichen Netze (§ 1 Abs. 3 NABEG; § 2 S. 1 EEG) und den Bau von LNG-Terminals (§ 3 S. 2 LNGG). Begründet wurde das mit der Erreichung der nationalen Klimaziele und der Sicherstellung der Energiesicherheit infolge des Ukrainekriegs. Der Ausbau von Straßen hingegen widerspricht den Klimazielen und eine existenzielle Bedrohungslage oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit lässt sich, wenn überhaupt, bei sanierungsbedürftigen Brücken begründen. Deswegen ist es nicht gerechtfertigt, pauschal für alle möglichen Vorhaben ein „überragendes öffentliches Interesse“ zu verankern.

Die Bundesregierung plant außerdem, bei Eingriffen in Natur- und Landschaft Ersatzgeldzahlungen mit Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen gleichzustellen. Bislang gilt, dass die Verursacher*innen von Eingriffen diese grundsätzlich in geeigneter Weise ausgleichen oder ersetzen muss. Wenn man Bäume entlang einer Straße fällt, könnte man zum Beispiel wieder neue pflanzen. Nur in ganz bestimmten Fällen, zum Beispiel wenn der Ausgleich oder Ersatz nicht möglich sind, kann bisher Ersatz in Geld geleistet werden. Das soll jetzt geändert werden. Außerdem sollen bestimmte artenschutzrechtliche Vorgaben eingeschränkt werden.

Das geplante „Naturflächenbedarfsgesetz“

Die Bundesregierung hat beschlossen, bis spätestens zum 28. Februar 2026 einen Entwurf für ein Naturflächenbedarfsgesetz vorzulegen. Bisher ist noch nicht klar, welche neuen Regelungen es im Einzelnen enthalten soll. Es wird aber erwartet, dass sie an die Neuregelungen des „Infrastruktur-Zukunftsgesetzes“ anknüpfen und insbesondere den Bereich des Naturschutzes betreffen werden.

Grüne und blaue Infrastruktur als überragendes öffentliches Interesse festlegen

Green Legal Impact Germany e.V. begrüßt den Vorschlag eines „Naturflächenbedarfsgesetzes“, sofern das neue Gesetz den Schutz und die großflächige, effektive Wiederherstellung der Natur sicherstellt. Keinesfalls darf es darum gehen, nur den Ausbau der grauen Infrastruktur zu beschleunigen. Denn solange der Erhalt der essenziellen natürlichen Infrastruktur nicht sichergestellt wird, ist Deutschland nicht zukunftsfähig: Straßen kann man nicht essen und Strom kann man nicht trinken. Deswegen brauchen wir Maßnahmen, die Bestäuber und Bodenfruchtbarkeit und die Qualität von Gewässern und Grundwasser fördern. Vor allen anderen Infrastrukturvorhaben muss der Schutz der essenziellen grünen und blauen Infrastruktur ins überragende öffentliche Interesse gestellt werden.

Kompensations- und Wiederherstellungsmaßnahmen für Eingriffe in Natur- und Landschaft müssen zeitnah, koordiniert und nachhaltig erfolgen. Sie müssen der Vernetzung von Lebensräumen und dem Schutz natürlicher Kohlenstoffsenken dienen, um Natur- und Klimaschutz miteinander zu verbinden. So kann Deutschland seinen völker- und europarechtlichen Verpflichtungen aus der Biodiversitätskonvention, dem Global Biodiversity Framework und der EU-Wiederherstellungsverordnung nachkommen. Die Populationen vieler Arten von Tieren und Pflanzen und ihre Lebensräume befinden sich in einem dramatisch schlechten Zustand. Es ist höchste Zeit, darauf zu reagieren und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen wirksam gesetzlich abzusichern – auch für künftige Generationen.

Anforderungen an ein effektives Naturflächenbedarfsgesetz

Es gilt, unnötige Bürokratie abzubauen, Verfahren bundesweit zu vereinheitlichen und Möglichkeiten der Standardisierung, beispielsweise im Artenschutz klug zum Erhalt gefährdeter Arten zu nutzen. Bei der Kompensation von Eingriffen in Natur- und Landschaft gilt bislang der Vorrang von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen vor Ersatzgeldzahlungen. Mit dem Entwurf für ein Infrastruktur-Zukunftsgesetz (siehe oben) sollen Ersatzgeldzahlungen nun gleichrangig gestellt werden. Das kann die Suche nach und Verwaltung von geeigneten Flächen für großflächige und nachhaltige Kompensationsmaßnahmen vereinfachen. Parallel dazu muss dann auch die Fachplanung besser werden. Eine dem verursachten Schaden angemessene Höhe der Ersatzgeldzahlungen sowie eine sinnvolle und zeitnahe Verwendung der Ersatzgeldzahlungen im Einklang mit völkerrechtlichen und europarechtlichen Verpflichtungen sind zu gewährleisten. Ersatzgeldzahlungen dürfen keinesfalls dem allgemeinen Haushalt der zuständigen Ministerien zufließen und/oder mit bereits anderweitig vorgesehenen Mitteln für Naturschutz und naturbasierten Klimaschutz verrechnet werden. Sie müssen einen echten, messbaren und nachhaltigen Mehrwert für den Naturschutz in Deutschland leisten. Eine angemessene personelle und finanzielle Ausstattung der zuständigen Naturschutzbehörden ist dabei die Voraussetzung für den effektiven Vollzug. Die Potenziale der Digitalisierung und des verantwortungsvollen Einsatzes von KI müssen genutzt werden.

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