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Wegweisendes IGH-Gutachten verpflichtet Staaten zu mehr Klimaschutz

24. September 2025

Unser Vorstandsmitglied Dr. Roda Verheyen gibt folgende Einschätzung zu der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs vom 23.07.2025:

Die heutige Entscheidung bestätigt die 1,5°-Grenze (nicht „unter 2° C“) und eine völkergewohnheitsrechtliche Pflicht, das Klima unter einem strengen Sorgfaltsmaßstab zu schützen („do no significant harm“). Kein Staat kann sich daraus zurückziehen. Schadenersatzansprüche und Ansprüche auf das Abstellen von schädlichen Subventionen oder Genehmigungen für fossile Energieträger können gegeben sein, wenn ein Staat dagegen verstößt, insbesondere wenn er sich nicht hinreichend anstrengt, den strengen Sorgfaltspflichtanspruch zu erfüllen. Jeder Staat kann jeden anderen Staat auffordern, sich klimaschützend genug zu verhalten. Wichtige Punkte sind:

  1. Die 1,5°C Grenze ist völkerrechtlich verbindlich: “The 1,5° C threshold is the Parties agreed temperature goal and consensus target”. Damit ist die beim BVerfG vorliegende Verfassungsbeschwerde „Zukunftsklage“ begründet, weil dem deutschen KSG schon kein 1,5°C Budget zugrunde liegt.  
  2. Die Pflichten aus dem Klimaregime sind letztlich auch im Völkergewohnheitsrecht vorhanden, und zwar als Sorgfaltspflicht. Ein Rückzug aus dem Vertrag nützt also nichts.
  3. Die Argumentation der „Gegner“ strenger Pflichten war, dass das UNFCCC und die „Selbstverpflichtungen“ des Paris Agreement lex specialis sind, also daneben kein anderes internationales Recht mehr gilt. Das ist klar und deutlich zurückgewiesen worden. Damit ist das Argument etwa der Schweiz im EGMR-Fall „Klimaseniorinnen“, die Schweiz sei nur an ihre (nicht ausreichenden) NDC (nationally determined contributions) gebunden, auch vom IGH zurückgewiesen worden.
  4. Alle Industrieländer der UNFCCC (auch die USA) unterliegen einer bindenden Sorgfaltspflicht, Emissionen zu reduzieren. Art 4.2 UNFCCC enthält Pflichten und diese sind “legally binding – whether the obligation is one of result or one of conduct” und außerdem ganz eindeutig: “both types may result in legal consequences when breached”.
  5. Die Grenze zwischen entwickelten Staaten und Entwicklungsstaaten im Pariser Abkommen ist nicht statisch. Das heißt unter dem UNFCC nichts anderes, als dass auch China Pflichten treffen.
  6. Die NDC sind nicht im reinen Ermessen der Vertragsstaaten zu bestimmen: „NDC are not entirely discretionary. All NDC must when taken together be capable of realising the objectives of the Paris Agreement.” Das heißt: Es gibt einen Maßstab aus der 1,5°-Schwelle und „best available science“
  7. Nationale Umsetzung ist eine Pflicht: States are obliged to “necessary measures contained in the NDC”, also stringent because risks and adverse impacts and loss and damage escalate with every increment of climate change – All parties to the Paris Agreement must pursue measures that are capable of achieving their NDC.”
  8. Die „Duty to cooperate“ ist Völkergewohnheitsrecht, das gilt besonders für gemeinsame Ressourcen, deswegen ist „sustained cooperation“ eine Pflicht. „Good faith efforts“ sind das Untermaß. Das Verhalten von Trump ist rechtswidrig, auch wenn es einiges Ermessen bei der Regulierung von Emissionen gibt. 
  9. Die Klimaschutzverpflichtung aus Völkergewohnheitsrecht von Staaten kann durch diese erfüllt werden mit “compliance in full by a state with the climate change treaties” – es suggeriert, dass die Staaten dadurch den strengen Sorgfaltsmaßstab und die Kooperationspflicht erfüllen.
  10. Aus dem Seerechtsübereinkommen (Art 194 UNCLOS) ergibt sich eine Pflicht, Klimaschutz zu betreiben – unabhängig von den konkreten Selbstverpflichtungen des Pariser Abkommens, und zwar eine Sorgfaltspflicht „according to objective criteria and the best available science“.
  11. Aus den Menschenrechten folgen strenge Schutzpflichten, u.a. wird ausdrücklich gesagt dass ein „right to a clean and healthy environment“ zwingend erforderlich ist, um die Menschenrechte auf Leben, Gesundheit etc. überhaupt zu sichern.
  12. Zu den Rechtsfolgen von Rechtsbrüchen (also zur Frage b): die allgemeinen Regeln zu „state responsibilty“ sind anwendbar, das heißt, alle bekannten Sanktionen können beantragt werden, wenn ein Rechtsbruch vorliegt. Damit steht Klagen von Staaten gegen Staaten nichts im Weg im Hinblick auf loss and damage. Diese richten sich dann nach den Zurechnungskriterien des allgemeinen Rechts. “the conduct of any organ of a state is the conduct of that state. Failure to take appropriate action including the granting of fossil fuel exploration licences and subsidies may constitute an internationally wrongful act.” Die Tatsache, dass das Problem kumulativ verursacht wurde, hat keine rechtliche Bedeutung, u.a. auch weil jeder Beitrag wissenschaftlich errechnet werden kann und weil es auf das staatliche Verhalten ankommt. Nicht die Emissionen sind ggf. rechtswidrig, sondern das Unterlassen von notwendigen Maßnahmen.
  13. Klimaschutzpflichten aus dem UNFCCC-Verträgen sind erga omnes weil sie alle Staaten schützt. Damit kann jeder Staat sie einfordern “everyone can invoke them”.

Siehe auch das Interview mit Roda Verheyen auf Tagesschau.de. 

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