Sieben Personen sitzen in einer Besprechungssituation an einem Tisch; im Hintergrund sind ein Whitebord und ein Bildschirm mit einer Übersicht über die Arbeitsbereiche und Projekte von GLI zu erkennen.

Klimanotstand und Menschenrechte – Advisory Opinion des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte

2. September 2025

Am 9.  Januar 2023 haben die Staaten Chile und Kolumbien eine sogenannte Advisory Opinion beim Inter-American Court of Human Rights (IACHR) zum Klimanotstand und Menschenrechten angefragt. Der IACHR ist neben dem European Court of Human Rights (ECHR) und dem African Court on Human and Peoples’ Rights (AfCHPR) einer der drei regionalen Menschenrechtsgerichtshöfe.  

Was ist eine Advisory Opinion 

Eine Advisory Opinion (AO) ist die Beantwortung einer konkreten Rechtsfrage, die dem Gericht losgelöst von konkreten Fällen gestellt wird, in Form eines Gutachtens. Vor dem IACHR sind alle Mitgliedstaaten, die die American Convention on Human Rights ratifiziert haben, berechtigt, eine AO anzufragen. Diese sind in der Regel nicht rechtsverbindlich, solche des IACHR nach der Ansicht des Gerichtes jedoch schon. Zudem wird in umweltrechtlichen Verfahren weltweit regelmäßig auf die Feststellungen in AOs zurückgegriffen. Global relevant ist die AO auch deshalb, weil die Menschenrechte, zu deren Auslegung sich der IACHR verhält, wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie die Allgemeine Handlungsfreiheit global existieren. 

Rechtliche Aspekte des Gutachtens

Im aktuellen Gutachten beantwortet der  IACHR über 20 verschiedene Fragen, die verschiedenste Aspekte des Klimawandels abdecken. 

Das Verfahren wurde unter reger Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführt. So hat der IACHR sämtliche interessierte Parteien (amicus curiae) eingeladen, schriftliche Stellungnahmen abzugeben oder an Anhörungen teilzunehmen. In diesem Rahmen wurden 265 Schriftsätze durch verschiedene Organisationen bzw. Einzelpersonen eingereicht. Zudem haben über 160 Delegationen an den Anhörungen im brasilianischen Manaus und in Barbados teilgenommen. Damit war dieses Verfahren das partizipativste in der Geschichte des IAGMR.Auch wenn Kanada und die USA sich der Rechtsprechung des IACHR nicht unterworfen haben, hat das Gericht bestätigt, dass der Inhalt der AO für alle Mitgliedstaaten der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und mithin auch für Kanada und die USA gilt. 

2017 hatte der IACHR in einem Gutachten festgestellt, dass das Recht auf eine gesunde Umwelt im interamerikanischen System ein eigenständiges Recht ist, das unabhängig von Einflüssen auf den Menschen zu berücksichtigen ist. Nun hat das Gericht dies bestätigt und festgestellt, dass das Recht auf eine gesunde Umwelt auch ein Recht auf ein gesundes Klima beinhaltet. Unter einem gesunden Klima versteht der Gerichtshof ein Klimasystem, das frei von anthropogenen Eingriffen ist, die für den Menschen und die Natur als Ganzes gefährlich sind. Das Recht auf ein gesundes Klima beinhaltet laut IACHR die Verpflichtung der Mitgliedstaaten Treibhausgasemissionen zu regulieren.  Jedoch enthält das Gutachten keine direkten Erwähnungen einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Abkehr von fossilen Energien oder zur Verpflichtung des globalen Nordens den globalen Süden für Klimafolgeschäden zu entschädigen. 

Beachtlich ist jedoch, dass der IACHR subjektive Rechte der Natur als zeitgemäße Manifestation des Prinzips der Interdependenz zwischen Menschenrechten und Umwelt bezeichnet. 

Zudem stellt der IACHR fest, dass die Verpflichtung, keine irreversiblen Schäden für das Klima und die Umwelt zu verursachen, völkerrechtlich zwingend ist (sog. ius cogens). Mithin gilt diese Verpflichtung nicht allein für Mitgliedstaaten der OAS, sondern global für sämtliche Staaten. Dies ist bemerkenswert, da die Hürden, bis sich eine Regelung als völkerrechtlich zwingend etabliert, sehr hoch sind. 

Die Mitgliedstaaten der OAS sind laut IACHR außerdem verpflichtet, ein rechtlich verbindliches und so ehrgeizig wie mögliches Emissionsminderungsziel zu bestimmen. Zudem soll ein spezifischer Zeitrahmen zu seiner Erreichung festgelegt werden. 

Der Gerichtshof verpflichtet die Mitgliedstaaten darüber hinaus zur Regulierung privater Unternehmen. Insbesondere vor dem Hintergrund der laufenden Abschwächung und Aussetzung des EU-Lieferkettengesetzes lässt das Gutachten aufhorchen, wenn es Mitgliedstaaten verpflichtet, Gesetze zu erlassen, die Unternehmen dazu verpflichten, entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette eine Sorgfaltsprüfung in Bezug auf Menschenrechte und Klimawandel durchzuführen. Auch Greenwashing müssen die Mitgliedstaaten laut Gericht unterbinden, während die EU-Kommission ihren Gesetzesvorschlag zur Bekämpfung von Greenwashing zurückgezogen hat. 

Der IACHR erlegt den Mitgliedstaaten darüber hinaus auf, Zugang zu Umweltinformationen sowie Partizipation zu gewähren. Insbesondere müssen die Mitgliedstaaten vor klimapolitischen Entscheidungen mit menschenrechtlichem Bezug die potentiell betroffenen indigenen Völker konsultieren. Dabei betont das Gericht, dass die Einbeziehung traditionellen, lokalen und indigenen Wissens sich positiv auf Entscheidungen auswirkt. 

Zudem muss in klimarechtlichen Fällen ein effektiver Zugang zur Justiz ermöglicht werden. Dazu müssen die Staaten angesichts des kollektiven Charakters der Klimaproblematik breite Formen der Klagebefugnis ermöglichen und die zuständigen Gerichte ausreichend finanzieren, während der IACHR selbst chronisch unterfinanziert ist, s. Bericht des Wissenschaflichen Diensts des Bundestags (Stand 2018). 

Schließlich betont das Gericht, dass die Mitgliedstaaten nicht lediglich zu Klimaneutralität selbst verpflichtet sind, sondern zu einem möglichst konfliktfreien Übergang zu Klimaneutralität, der historische Ungleichheiten korrigiert und Menschen und Ökosysteme schützt (sog. just transition). 

Völkerrechtlicher Kontext der Advisory Opinion

Die AO des IACHR steht im Kontext eines Gutachtens des International Tribunal for the Law of the Sea (ITLOS) aus dem Mai 2024, in welchem dieses festgestellt hat, dass Treibhausgase eine Verschmutzung der Meere darstellen und die Staaten nach dem UN-Seerechtsabkommen dazu verpflichtet sind, Maßnahmen gegen die Verschmutzung durch Treibhausgase zu ergreifen. 

Im April 2024 haben die KlimaSeniorinnen Schweiz vor dem ECHR die Schweiz erfolgreich zu wirksamerem Klimaschutz verurteilt und am 23. Juli 2025 wird der International Court of Justice (ICJ) ein Gutachten zum Klimawandel veröffentlichen. Schließlich wurde Anfang Mai auch beim AfCHPR ein solches Gutachten beantragt. Insbesondere die AOs der internationalen Gerichtshöfe geben einen Rahmen für die Fortentwicklung des Klimavölkerrechts.

Disclaimer: Die AO umfasst 234 Seiten und ist bisher lediglich auf Spanisch verfügbar. Dieser Beitrag gibt also nur einen ersten Überblick und hat nicht den Anspruch, die Entscheidung umfassend zu analysieren. 

Weiterführende Links: 

  • Sobald online verfügbar, kann die englische Version hier abgerufen werden. 
  • Anmeldung zu einem kostenlosen online-Roundtable des Global Network for the Study of Human Rights zur Advisory Opinion am 15. Juli um 15 Uhr hier
  • Einen Link zur Aufzeichnung einer Besprechung der Advisory Opinion organisiert durch die London School of Economics and Political Science hier
  • Hier wird am 23. Juli ab 15 Uhr die Verkündung der Advisory Opinion des ICJ zu staatlichen Verpflichtungen in Bezug auf den Klimawandel übertragen. 
  • Anmeldung zu einer gemeinsamen Livestream-Übertragung der ICJ-Verkündung auf der Dachterrasse der Atelier Gardens, Oberlandstr. 26, 12099 Berlin am Mittwoch, 23. Juli 2025 von 14:30-17:00 Uhr hier

Vielen Dank an Laurens Teifke, Praktikant, für die Vorbereitung und Arbeit an diesem Beitrag.

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