Zur Bedeutung der EU-Wiederherstellungsverordnung (Nature Restoration Law)

In Brüssel wird zurzeit über den Entwurf für eine neue Naturschutzverordnung verhandelt: Die EU-Wiederherstellungsverordnung (Nature Restoration Law) ist Teil einer ganzen Reihe von Gesetzesvorhaben auf EU-Ebene unter dem Schirm des Green Deals. Der Vorschlag sieht konkrete flächenbezogene Wiederherstellungsziele für degradierte Ökosysteme in Europa vor. Das ist auch dringend erforderlich, denn um Europas Natur – und die Biodiversität weltweit – ist es schlecht bestellt.

Eine Krise kommt selten allein, aber die Biodiversitätskrise findet noch zu wenig Beachtung

Es ist 2023 und wir leben nicht in einer, sondern in zwei miteinander verbundenen und einander verstärkenden Krisen: Die Klimakrise, ausgelöst durch die Nutzung fossiler Energieträger und den Ausstoß von Treibhausgasen und die Biodiversitätskrise, bedingt durch eine nie dagewesene Zerstörung von Ökosystemen, Populationen und Arten. Beide Krisen sind menschengemacht. Der Raubbau an natürlichen Ressourcen und eine Nutzung von Land die alles andere als nachhaltig ist, haben sie ausgelöst. Beide Krisen sind komplex und werden durch eine Vielzahl von Faktoren bedingt und verschärft. Biodiversitäts- und Klimakrise müssen gemeinsam betrachtet werden, denn sie haben das Potenzial, einander zu verstärken.

Biodiversität ist die Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft, darunter unter anderem Land-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme und die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören; dies umfasst die Vielfalt innerhalb der Arten und zwischen den Arten und die Vielfalt der Ökosysteme (Artikel 2 der Biodiversitätskonvention).

Trotz langjähriger Bemühungen und einer Vielzahl von Absichtserklärungen verschlechtert sich der Zustand der Biodiversität weltweit und auch in Europa und in Deutschland kontinuierlich. Zwar konnten Erfolge bei der Erhaltung einzelner Arten und lokale Verbesserungen des Zustands verschiedener Umweltmedien und Ökosysteme erzielt werden. Insgesamt betrachtet ist die Situation jedoch sowohl im Hinblick auf den Rückgang der Biodiversität als auch auf das Erreichen oder die Überschreitung ökosystemarer Belastungsgrenzen dramatisch. Die zunehmend bemerkbaren Auswirkungen der Klimakrise stellen eine zusätzliche Belastung und einen erheblichen Unsicherheitsfaktor dar.

Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Biodiversität, Klimakrise und Landnutzung: Die Klimakrise und die Biodiversitätskrise wirken sich bereits heute nachteilig auf die Landwirtschaft in Europa aus. Die Zunahme von Dürreperioden und Extremwetterereignissen belasten Landwirt*innen und führen zu höheren Lebensmittelpreisen. Die Auswirkungen industrieller Landwirtschaft wie überhöhter Pestizid- und Düngemitteleinsatz und die Zerstörung von landschaftlichen Strukturelementen wie Feldrainen oder Hecken führen zu einem Rückgang der Biodiversität und zerstören Lebensräume und Ökosysteme. Die Rückgänge bei Insekten und Feldvögeln sind dramatisch. Das ist nicht nur traurig, weil wir die fehlenden Vögel und Insekten vermissen: Es ist eine existenzielle Bedrohung. Denn Insekten, Vögel, Landwirt*innen und wir als Verbraucher*innen existieren nicht losgelöst voneinander und dem Rest der Natur in einem Vakuum. Wir sind alle eingebunden in ein komplexes Netz aus unterschiedlichsten ökologischen Beziehungen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ohne Insekten als Bestäuber sähe es im Supermarkt plötzlich extrem leer aus.

Bisher mangelhafte Umsetzung rechtlicher Verpflichtungen zum Schutz der Biodiversität

Die EU und Deutschland sind völker- und europarechtliche Verpflichtungen zum Schutz von Natur und Umwelt eingegangen, die bislang nicht erfüllt werden. Diese Verpflichtungen müssen ebenso wie diejenigen aus dem Pariser Klimaschutzübereinkommen eingehalten werden. Eine herausragende Rolle spielt in diesen Zusammenhang die Biodiversitätskonvention (1992). Sie ist das Pendant zur Klimarahmenkonvention. Im Dezember 2022 einigten sich ihre Vertragsparteien im Rahmen der 15. Vertragsstaatenkonferenz auf das Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework, das ambitionierte Ziele für den Schutz der globalen Biodiversität enthält.

Wesentliche Instrumente des europarechtlichen Naturschutzes sind bisher die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) und die Vogelschutz-Richtlinie (VS-RL). Sie schützen eine Vielzahl unterschiedlicher Tier- und Pflanzenarten (Anhänge II und IV der FFH-RL), Lebensraumtypen (Anhang I FFH-RL) und alle europäischen Vogelarten. Vorschriften zum Schutz von Arten und Lebensräumen gelten dabei nicht nur innerhalb der Schutzgebiete des Netzwerks Natura 2000, sondern auch in der Fläche. Bislang werden die Schutz-, Erhaltungs- und Verbesserungsziele der europäischen Naturschutzrichtlinien jedoch nicht erfüllt: 81 % der Lebensräume in Europa befinden sich nicht in einem guten Erhaltungszustand und viele geschützte Arten verzeichnen Populationsrückgänge. Selbst innerhalb von Schutzgebieten wirken sich vielfältige menschengemachte Belastungen negativ auf die Biodiversität aus – von naturschädigenden land- und forstwirtschaftlichen Bewirtschaftungsmethoden über Infrastrukturprojekte bis hin zu übermäßiger Sport- und Freizeitnutzung. Hinzu kommt, dass viele Schutzgebiete klein sind und wie Inseln isoliert voneinander innerhalb intensiv genutzter Landschaften liegen. Das beeinträchtigt ihre Schutzgüter, weil mangels Konnektivität kein genetischer Austausch zwischen Populationen stattfinden kann und weil Tiere und Pflanzen nicht ungehindert wandern können. Gerade unter den Bedingungen der Klimakrise ist das jedoch essenziell, damit Tiere und Pflanzen auf veränderte Standortbedingungen reagieren können. Deswegen muss es auch außerhalb von Schutzgebieten Überlebenschancen, Habitate und geeignete Wanderrouten geben. Strukturelementen (z.B. Hecken) und extensiv genutzten Landschaftsbestandteilen kommt dabei eine wichtige Rolle als Rückzugsraum zu. Im Zuge der Intensivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft wurden sie jedoch vielerorts entfernt, um große zusammenhängende Ackerflächen und Monokulturen zu schaffen. Außerdem wird heute zum Beispiel auf vielen entwässerten Moorflächen Landwirtschaft betrieben. Das ist auch unter dem Aspekt des Klimaschutzes problematisch, denn Moorböden haben ein sehr großes Potenzial als natürliche Kohlenstoffsenke – wenn sie nass sind.

Neben Nachbesserungsbedarf bei der Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien ergeben sich durch das Global Biodiversity Framework der Biodiversitätskonvention neue Ziele, die rechtlich zeitnah und aus wissenschaftlicher Sicht am besten gestern umgesetzt werden müssen. Unter anderem sollen sich bis 2030 jeweils 30 % der degradierten Land-, Binnengewässer-, Küsten- und Meeresökosysteme in einem effektiven Wiederherstellungsprozess befinden und 30 % aller Ökosysteme sollen effektiv geschützt und gemanagt werden. Ähnliche Ziele enthält auch die EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 (Näheres dazu hier), zu deren Umsetzung die Wiederherstellungsverordnung beitragen soll. Besonders im Fokus der EU-Biodiversitätsstrategie stehen Ökosysteme, die nicht nur für den Schutz der Biodiversität große Bedeutung haben, sondern auch für den Klimaschutz. Dies sind kohlenstoffreiche Ökosysteme wie Torfmoore, Primär- und Urwälder, Grünland und Feuchtgebiete. Die Wiederherstellung solcher natürlicher Senken – zum Beispiel durch die Wiedervernässung von Mooren – kann gleichzeitig zur Erfüllung von Biodiversitätsschutz- und Klimaschutzzielen beitragen.

Dringend erforderliche Stärkung des rechtlichen Biodiversitätsschutzes durch die EU-Wiederherstellungsverordnung

Der Entwurf für die EU-Wiederherstellungsverordnung kombiniert ein übergeordnetes Ziel für die langfristige Wiederherstellung der Natur in den Land- und Meeresgebieten der EU mit verbindlichen Sanierungszielen für bestimmte Lebensräume und Arten. Diese Maßnahmen sollten bis 2030 mindestens 20 % der Land- und Meeresflächen der EU und schließlich bis 2050 alle wiederherstellungsbedürftigen Ökosysteme abdecken. In den Artikeln 4 bis 10 enthält die Verordnung für die Mitgliedstaaten verbindliche Vorgaben zur Wiederherstellung einzelner Ökosysteme wie Flüsse, landwirtschaftlich genutzte Ökosysteme oder Wälder. Gemäß Artikel 11 sollen die Mitgliedstaaten unter Beteiligung der Öffentlichkeit nationale Wiederherstellungspläne aufstellen, in denen sie festhalten, mit welchen Maßnahmen sie die Ziele erreichen wollen. Diese werden dann von der EU-Kommission geprüft.

Trotz der Dringlichkeit der Biodiversitätskrise gibt es politische Widerstände und Widerstand verschiedener Lobbyinteressen gegen die Annahme der Wiederherstellungsverordnung. Zuletzt haben sich im Landwirtschafts- und im Fischereiausschuss des Europaparlaments eine Mehrheit der Abgeordneten gegen eine Annahme der Wiederherstellungsverordnung ausgesprochen. Von entscheidender Bedeutung ist aber die Abstimmung im Umweltausschuss, die für den 15. Juni 2023 angesetzt ist.

Mitmachen

Unter dem Hashtag #RestoreNature machen über 200 europäische Umweltorganisationen auf die einmalige Chance aufmerksam, die die Verordnung für besseren Biodiversitätsschutz in Europa bietet. Weiterführende Informationen und die Möglichkeit, sich zu beteiligen finden Sie hier.